Erste Filmregisseurin der Welt vor 150 Jahren geboren

Alice Guy realisierte etwa 1.000 Filme

von Andreas Rehnolt

Alice Guy 1896, Apeda Studio New York
Erste Filmregisseurin der Welt
vor 150 Jahren geboren

Die Französin Alice Guy drehte 1896 mit „La Fée aux Choux“
den vermutlich weltweit ersten fiktionalen Film -
Insgesamt realisierte sie etwa 1.000 Filme

Ich denke, daß die Brüder Lumière die ersten Regisseure waren. Ich beanspruche nur den Titel der ersten Frau, die Regie führte.“ So die französische Filmpionierin und erste Filmregisseurin der Welt, Alice Guy. Sie wurde am 1. Juli 1873 - also vor 150 Jahren - in Saint-Mandé, östlich von Paris geboren. Schon vor ihrem Tod in den USA im Jahre 1968 war Guy in Vergessenheit geraten. Erst nach und nach wurde ihre Bedeutung für die Entwicklung des Films erforscht und ihr Gesamtwerk dementsprechend gewürdigt. Ihr 1896 entstandener Film „La Fée aux Choux“ (Die Frühlingsfee) gilt heute als der vermutlich weltweit erste fiktionale Film.

Darin zeigt Guy, die auch das Drehbuch schrieb, wie eine vergnügte Garten-Fee echte kleine Babys aus einem Weißkohlbeet „erntet“ und auf die Erde legt. „So erzählte man in Frankreich damals den kleineren Kindern, wie Babys auf die Welt gebracht wurden. In Deutschland war dafür der Klapperstorch zuständig“, erklärt die langjährige Art-Direktorin des Internationalen Frauen-Film-Festivals (FFF) Dortmund/Köln, Silke Johanna Räbiger im Gespräch. Sie weist zudem darauf hin, daß es lange Zeit nur sehr wenig filmisches Material gab, das man einwandfrei Guy hätte zuordnen können.

„In den Frühzeiten des Films waren oft keine Credits vorhanden, so daß die Zuordnung sehr schwierig war. Erst als die Zusammenarbeit der Filmarchive weltweit intensiviert wurde, war es möglich, daß die unterschiedlichen Filmfassungen der verschiedenen Länder miteinander verglichen und restauriert wurden und dann auch den Regisseurinnen/Regisseuren zugeordnet werden konnten“, so die Filmexpertin. Sie betonte aber, daß einzelne Filme der begeisterten Filmemacherin Alice Guy etwa seit den 1990er Jahren auf einigen Festivals in Deutschland präsentiert wurden.

„Vielfach mußten diese Streifen wahrhaft ausgegraben werden“, so Räbiger weiter. Sie weiß auch davon zu berichten, daß alleine die amerikanische Columbia-Universität inzwischen gut 100 Filme von Alice Guy archiviert hat. Früher dagegen hatte sich die überwiegend männlich geprägte Filmwissenschaft viele Jahrzehnte nicht für die Frau, die die Pionierzeit des Kinos hautnah miterlebte, interessiert. Wohl auch, weil Männer die Geschichte des Kinos schrieben. Bis etwa 1907 leitete Guy zahlreiche Produktionen und etablierte sich mit den damals üblichen kurzen Genrefilmen. Sie drehte Abenteuerfilme, Western, Musicals und Komödien, erklärte der Direktor des Münchner Filminstituts, Stefan Drößler, der das größte deutsche Stummfilmfestival in Bonn kuratiert.
 
1906 realisierte Guy die Großproduktion „La Vie du Christ“ mit hunderten von Statisten. In dem Film geht es um Geburt, Leben und Tod Christi. Guy erhält dafür auf der Weltausstellung in Mailand eine Goldmedaille. Ein Jahr später erhält sie die Auszeichnung Palmes academiques als Filmregisseurin. Kurz darauf wird sie dabei gefilmt, wie sie eine Phonoszene inszenierte. Dieser Film gilt als das erste „Making of“ der Filmgeschichte. Wenig später heiratet Guy und zieht mit ihrem Mann Herbert Blaché nach Amerika. Dort dreht sie mit ihrer eigenen Produktionsfirma Solax Film unter anderem einen Film nur mit Schwarzen als Darsteller und bringt den Geschlechter-Rollen-Tausch auf die Leinwand.
 
Guy zeigt häusliche Szenen, in denen Männer bügeln, nähen und waschen, sich um die Kinder kümmern und kochen. Die Frauen dagegen betreten währenddessen als „Pascha“ die Szene, rauchen Zigarren, lesen Zeitung und lassen sich bedienen. Weitere Themen ihrer Filme waren auch Antisemitismus, Immigration, die Situation der Arbeiter sowie Kindesmißhandlung. „Beasts of the Jungle“ wurde neben „My Madonna“ oder „Vampire“ zu ihrem größten Erfolg. Während Blaché nach Hollywood ging, drehte Guy weiter an der Ostküste, aber ohne großen Erfolg. Nach mehreren filmischen Mißerfolgen und der Scheidung verläßt die Filmpionierin 1922 die USA und geht zurück nach Frankreich.
 
Auch dort aber bleibt ihr der frühere Erfolg verwehrt und sie findet einen keinen Anschluß mehr an die Branche. Hochverschuldet durch ihre Kino-Flops in den USA bringt sie sich und ihre beiden Kinder mit dem Schreiben von Büchern und Filmkritiken durchs Leben. Ab 1927 widmete sie sich zudem der erfolglosen Suche nach ihren in Amerika entstandenen Filmen. Kürzlich erschien im Bielefelder Verlag Splitter eine 400seitige Graphic-Novel mit dem Titel „Alice Guy - Die erste Filmregisseurin der Welt“ von Catel & Bocquet, die sehr anschaulich und ausführlich Leben und Werk der Filmpionierin präsentiert.
 
Am 24. März 1968 starb Alice Guy im Alter von 94 Jahren in einem Pflegeheim in Wayne im US-Bundesstaat New Jersey. Sie starb, „ohne jemals ihre Filme wiedergefunden zu haben und ohne eine Erinnerung an ihre Vergangenheit“, heißt es in der Graphic-Novel des Splitter-Verlags.